Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers aus persönlichen Gründen
1. Was gilt bei der Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers aus persönlichen Gründen?
§ 616 BGB regelt, dass der Dienstnehmer (Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter) den Anspruch auf die volle Arbeitsvergütung behält, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert ist. Es handelt sich um eine Rückausnahme von dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ nach § 326 Abs. 1 BGB. Eine Anwendung des § 616 BGB kommt somit nur in Betracht, wenn die Leistung nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden ist oder ein Fall der Unzumutbarkeit nach § 275 Abs. 3 BGB vorliegt und die Nichtleistung der Arbeit weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber zu vertreten ist. Die Regelung des § 616 S. 1 BGB ist abdingbar, da sie in § 619 BGB nicht aufgezählt ist. Eine abweichende arbeitsvertragliche Regelung ist somit möglich.
Zu beachten ist, dass § 616 BGB selbst keine Anspruchsgrundlage beinhaltet, sondern den Vergütungsanspruch aus §§ 611, 611a Abs. 2 BGB aufrecht erhält. In dem Fall der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gilt § 616 BGB nicht. Hier gelten die Sonderregelungen des EFZG.
2. Welche Voraussetzungen hat der § 616 BGB?
2.1 Dienstverhältnis
Die erste Voraussetzung des § 616 BGB ist das Vorliegen eines Dienstverhältnisses. Hierunter fallen auch Teilzeit- oder Aushilfsarbeitsverhältnisse und arbeitnehmerähnliche Personen sowie Anstellungsverträge der Organmitglieder einer juristischen Person. Für Ausbildungsverhältnisse gilt der § 19 Abs. 1 Nr. 2 BBiG.
2.2 Persönlicher Hinderungsgrund
Nach § 616 BGB muss der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses durch einen in seiner Person oder in seinen persönlichen Verhältnissen liegenden Grund an der Arbeitsleistung verhindert sein. Nicht erforderlich ist, dass der Hinderungsgrund unmittelbar in der Person des Arbeitnehmers liegt. Es reicht aus, wenn der Grund der Sphäre des Arbeitnehmers zugeordnet werden kann und es sich um kein objektives Hindernis handelt. Ein Grund ist dann objektiv, wenn die Arbeitsleistung wegen eines Umstandes nicht möglich ist, der weder in der Person des Arbeitnehmers noch in der des Arbeitgebers seine Ursache findet. Die Arbeitsleistung muss folglich subjektiv unmöglich oder unzumutbar sein. Unzumutbar ist eine Arbeitsleistung, wenn dem Arbeitnehmer wegen höherrangiger sittlicher und rechtlicher Pflichten die Erbringung der Leistung unter Abwägung der wechselseitigen Interessen nach Treu und Glauben nicht abverlangt werden kann.
Ein Anspruch aus § 616 BGB besteht jedoch nicht, wenn der Hinderungsgrund lediglich eine Aktivität der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers betrifft, die nur während der Arbeitszeit erledigt werden kann.
Beispiele für persönliche Hinderungsgründe sind:
- Die kirchliche und standesamtliche Eheschließung,
- Außerordentliche Vorkommnisse in der Familie (Geburten, goldene Hochzeit der Eltern, Kommunion und Konfirmation der Kinder, Todesfälle, Beerdigungen),
- Schwere Erkrankungen naher Angehöriger (insb. Kinder),
- Ehrenamtliche Richtertätigkeit,
- Ladung zu Behörden / gerichtlichen Terminen.
Kein Hinderungsgrund liegt beispielsweise in folgenden Fällen vor:
- Teilnahme an Prüfungen (zB Fahrprüfung),
- Vereinsfeste,
- Ereignisse im erweiterten Familienkreis,
- Private Fortbildungskurse,
- Demonstrationen,
- Staus / Ausfall des ÖPNV,
- Naturkatastrophen,
- Witterungsbedingte Störungen.
2.3 Kausalität
Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bleibt nach § 616 S. 1 BGB nur dann bestehen, wenn der in der Person liegende Hinderungsgrund die alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung ist. Ein Anspruch scheidet aus, wenn der Arbeitnehmer beispielsweise während einer vereinbarten unbezahlten Freistellung nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen ist.
Liegen der Arbeitsunfähigkeit mehrere und zeitgleich eingetretene Ursachen zugrunde, die eine Entgeltfortzahlung begründen, ist entscheidend, welchem Leistungshindernis zeitliche Priorität zukommt.
Zu beachten ist darüber hinaus, dass bei flexiblen Arbeitszeitmodellen die Anwendung des § 616 BGB nur innerhalb der Kernarbeitszeiten gilt. Den Arbeitnehmer trifft in einem solchen Fall außerdem die Pflicht, die Ereignisse, die einen persönlichen Hinderungsgrund darstellen können, so zu disponieren, dass er sie Außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen kann.
2.4 Verschulden
Des Weiteren setzt § 616 S. 1 BGB voraus, dass der Arbeitnehmer ohne sein Verschulden nicht dazu in der Lage ist, die Arbeitsleistung zu erbringen. Das Verschulden muss sich dabei auf den Hinderungsgrund beziehen, der für die Nichtleistung ursächlich ist. Schuldhaft ist ein Handeln nur, wenn ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vorliegt.
2.5 Verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit
Die Nichterbringung der Arbeitsleistung darf sich nur auf eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit erstrecken. Bei einer zu lange andauernden Verhinderung entfällt der Anspruch vollständig. Die Dauer der verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit ist ereignisorientiert bzw. anlassbezogen zu bestimmen. Zu berücksichtigen ist dabei der Verhinderungsgrund. Daraus folgt, dass die verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit grundsätzlich nur wenige Tage umfasst. Bei Hindernissen, die in der Person des Arbeitnehmers selbst liegen, ist die Höchstdauer regelmäßig auf fünf Tage anzusetzen. Bei der Erkrankung von Kindern beträgt die Dauer beispielsweise grundsätzlich zehn Tage.
3. Was gilt bei der Pflege erkrankter Kinder?
Bei der Pflege erkrankter Kinder ergeben sich Besonderheiten aus § 45 Abs. 2 SGB V. Danach besteht ein Anspruch auf Krankengeld für jedes Kind längstens für zehn Tage, für Alleinerziehende für längstens 20 Tage. Nach § 45 Abs. 2 S. 2 SGB V besteht der Anspruch nach Satz 1 für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage und für alleinerziehende Versicherte nicht mehr als 50 Arbeitstage. In dem Fall, dass beide Elternteile berufstätig sind, hat nur einer nach ihrer Wahl den Anspruch.
Der Streik in einem Kindergarten stellt auch einen persönlichen Hinderungsgrund dar, da die Eltern ihrer Arbeitspflicht in einem solchen Fall nicht nachkommen, weil sie ihrer Elternpflicht nachgehen und für ihr Kind sorgen. Dabei handelt es sich um einen Grund aus der persönlichen Sphäre der Eltern.
4. Trifft den Arbeitnehmer eine Unterrichtungspflicht?
Ja. Den Arbeitnehmer trifft die vertragliche Nebenpflicht, den Arbeitnehmer so früh wie möglich über die Arbeitsverhinderung in Kenntnis zu setzen. Bei einer voraussehbaren Arbeitsverhinderung hat die Mitteilung so früh zu erfolgen, dass sich der Arbeitgeber darauf einstellen kann. Die Unterrichtungspflicht bezieht sich auf den Grund, den Beginn sowie das voraussichtliche Ende des Arbeitsausfalls.
Verletzt der Arbeitnehmer die Unterrichtungspflicht, bleibt der Anspruch aus § 616 BGB hiervon grundsätzlich unberührt. Er kann sich jedoch nach § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig machen.
5. Gelten Besonderheiten hinsichtlich der Corona-Pandemie?
Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund des bloßen Verdachts einer COVID-19-Infektion zum Schutze der restlichen Belegschaft frei, ohne dass sich der Arbeitnehmer aufgrund zwingender Verordnungen oder Anordnungen absondern muss, liegt hierin ein Hinderungsgrund in der Person des Arbeitnehmers. Der Verdacht einer COVID-Infektion ist in diesem Fall seiner persönlichen Sphäre zuzuordnen. Im Ergebnis bestünde also ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nach § 616 S. 1 BGB iVm dem Arbeitsvertrag, sofern die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Selbiges gilt, wenn sich der Arbeitnehmer aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften oder Anordnungen im Falle eines COVID-Verdachts in Quarantäne begeben muss.
Ist der Arbeitnehmer positiv auf das Corona-Virus getestet und bricht die Krankheit aus, richtet sich der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 EFZG. Gleiches gilt bei einem symptomlosen Verlauf, sofern sich der Arbeitnehmer deshalb in Quarantäne begeben muss und dort nicht arbeiten kann.