Fragerecht des Arbeitgebers

1.       Was gilt im Allgemeinen?

Im Zuge des Einstellungsgesprächs erhebt der Arbeitgeber durch die Befragung eines Bewerbers personenbezogene Daten. Hierzu ist er grundsätzlich gemäß § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG berechtigt, wenn die wahrheitsgemäße Beantwortung zur Begründung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist. Entscheidend ist, dass die Beantwortung der Frage für den angestrebten Arbeitsplatz und die damit einhergehende Tätigkeit selbst von Bedeutung ist. Grundsätzlich gilt, dass je weniger die Frage mit der Beschäftigung in Zusammenhang steht und je mehr sie die Person selbst ergründet, desto wahrscheinlicher ist deren Unzulässigkeit.

Stellt eine Frage eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen der in § 1 AGG genannten Merkmale dar, besteht regelmäßig kein berechtigtes Interesse an der wahrheitsgemäßen Beantwortung. Etwas anderes kann nur gelten, sofern die Fragen gemäß §§ 8-10 AGG gerechtfertigt sind.

Der Arbeitnehmer muss eine unzulässige Frage nicht wahrheitsgemäß beantworten. Die falsche Antwort auf eine unzulässige Frage löst kein Anfechtungsrecht des Arbeitgebers gemäß §§ 119, 123 BGB aus. Auch ist der Arbeitgeber durch eine wahrheitswidrige Beantwortung nicht zur verhaltensgebundenen Kündigung berechtigt. Rein faktisch steht dem Arbeitnehmer somit ein „Recht zur Lüge“ zu.

 

2.       Was gilt im Einzelfall?

2.1      Alkohol- und Drogenabhängigkeit

Da eine Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit eine Behinderung darstellen kann, ist eine diesbezügliche Frage nicht ohne Weiteres zulässig. Das BAG stuft auch suchtkranke Menschen als Behinderte iSd § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX ein, sofern die Voraussetzungen erfüllt sind. Schließt man sich dieser Ansicht auch für den Behindertenbegriff des AGG an, ist die Frage nur zulässig, sofern die Tätigkeit notwendigerweise voraussetzt, dass der Arbeitnehmer nicht alkohol- oder drogenabhängig ist. Stets unzulässig ist die Frage nach gelegentlichem Alkoholgenuss.

 

2.2      Alter

Die Frage nach dem Alter ist grundsätzlich zulässig, da das Alter für die Beurteilung eines Arbeitnehmers einen wesentlichen Gesichtspunkt darstellt. Eine aussagekräftige Würdigung der Persönlichkeit sowie der beruflichen Entwicklung des Beschäftigten ist nicht möglich, wenn die einzelnen Entwicklungsschritte nicht im Bezug zu dem Alter bewertet werden können. Etwas anders kann sich indes ergeben, wenn der Arbeitgeber für die Beschäftigung nicht zulässige Höchst- oder Mindestgrenzen vorsieht und die Frage darauf abzielt, festzustellen, ob diese Grenzen erreicht sind.

 

2.3      Schwangerschaft

Die Frage nach einer Schwangerschaft ist unzulässig, da sie eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 AGG darstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob sich nur Frauen oder auch Männer für den Arbeitsplatz beworben haben. Der EuGH hält die Frage nach der Schwangerschaft auch unabhängig davon für unzulässig, ob die Arbeitnehmerin auf Dauer oder unbefristet eingestellt wird, sie während der Schwangerschaft die Arbeit verrichten kann, ihre Anwesenheit für das Unternehmen unerlässlich ist oder Nachtarbeitsverbote bestehen. Ebenfalls unzulässig ist die Ablehnung einer Bewerberin aufgrund ihrer Schwangerschaft.

 

2.4      Vorstrafen

Bezüglich möglicher Vorstrafen steht dem Arbeitgeber ein Fragerecht zu, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies erfordert, also die Frage bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheinen lässt. Zulässig ist beispielsweise die Frage nach einer Vorbestrafung wegen Straßenverkehrsdelikten bei einem Kraftfahrer oder wegen Vermögensdelikten bei einem Bankangestellten. Ohne gegenständliche Beschränkung gestellte Fragen nach Vorstrafen sind jedoch unzulässig. In diesem Fall ist der Bewerber nicht zu einer wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet.

Für den öffentlichen Dienst gelten weitere Besonderheiten. Zu beachten ist Art. 33 Abs. 2 GG. Im Sinne dieser Vorschrift gilt nur derjenige als geeignet, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Dies umfasst auch die innere Bereitschaft und Fähigkeit, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen und insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger und rechtsstaatliche Regeln zu wahren. Aufgrund dessen ist der öffentliche Arbeitgeber dazu berechtigt, auch nach nicht einschlägigen Vorstrafen zu fragen. Zu beachten ist, dass bezüglich getilgter oder zu tilgender Vorstrafen kein weitergehendes berechtigtes und schutzwürdiges Interesse an einer Auskunft besteht.

Nach der Rechtsprechung des BAG sind Fragen nach anhängigen Straf- und Ermittlungsverfahren zulässig, soweit ein solches Verfahren bereits dazu in der Lage ist, Zweifel an der individuellen Eignung des Bewerbers für die Tätigkeit zu begründen. Demgegenüber sind Fragen bezüglich eingestellter Ermittlungsverfahren mangels berechtigten Interesses unzulässig.

 

2.5      Arbeitserlaubnis

Die Frage nach dem Besitz einer Arbeitserlaubnis ist zulässig. Eine unzulässige mittelbare Beeinträchtigung ausländischer Arbeitnehmer aufgrund ihrer Rasse oder ethnischer Herkunft wird hierin nicht gesehen. Vielmehr hat der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse am aufenthaltsrechtlichen Status des Bewerbers, da eine Beschäftigung ohne den notwendigen Titel unzulässig ist.

 

2.6      Ausbildung und beruflicher Werdegang

Auch diese Frage ist zulässig. Den Arbeitnehmer trifft die Pflicht, seine früheren Arbeitgeber zu nennen und die Dauer der Arbeitsverhältnisse offenzulegen.

 

2.7      Behinderung

Die von der Tätigkeit losgelöste Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft ist vor der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich unzulässig. Dem Bewerber steht hinsichtlich einer solchen Frage das „Recht zur Lüge“ zu. Außerdem indiziert sie eine nach § 15 AGG sanktionierte Benachteiligung. Eine Ausnahme besteht gegebenenfalls dann, wenn der Arbeitgeber nur schwerbehinderte Arbeitnehmer einstellen will, um sich etwaigen Belastungen aus der Ausgleichsabgabe zu entziehen.

Die Frage nach einer Behinderung kann dann zulässig sein, wenn die darauf beruhende Leistungsbeeinträchtigung die Arbeitsleistung dauerhaft verhindert und das Nichtbestehen einer Behinderung daher eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ iSd § 8 Abs. 1 AGG darstellt. Hierfür genügt jedoch nicht, dass die Behinderung die Eignung für die Tätigkeit erfahrungsgemäß beeinträchtigt. Eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung liegt vor, wenn der Bewerber aufgrund seiner Behinderung signifikant hohe Fehlzeiten aufweisen wird, die zu einer enormen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen oder betrieblichen Interessen des Arbeitgebers führen können. Unzulässig ist die Frage nach einer Behinderung auch dann, wenn die Erkrankung für den Arbeitgeber offensichtlich ist. Zu beachten ist, dass die Frage nach dem Vorliegen einer Feststellung des Versorgungsamtes über den Grad der Beeinträchtigung nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses zulässig ist.

 

2.8      Familienplanung

Fragen nach der Familienplanung sind unzulässig. Dies ergibt sich aus einem Vorrang der grundrechtlichen Wertung des Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber dem Informationsinteresse des Arbeitgebers.

 

2.9      Familienstand

Auch die Frage nach dem Familienstand ist grundsätzlich unzulässig. Neben dem Mangel eines berechtigten Interesses an der Beantwortung, besteht die Gefahr einer Benachteiligung wegen sexueller Identität bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nach dem LPartG. Nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses ist die Frage hingegen vor dem Hintergrund einer möglichen Sozialauswahl bei betriebsbedingter Kündigung und mit Blick auf eine betriebliche Altersversorgung zulässig.

 

2.10    Heirat

Die Frage nach einer geplanten bzw. zukünftigen Hochzeit ist unzulässig. Ein berechtigtes Interesse an der Beantwortung besteht nicht. Mithin hat eine falsche Beantwortung keine Rechtsfolgen.

 

2.11    Gesundheitszustand

Die Zulässigkeit und der Umfang des Fragerechts bezüglich etwaiger Krankheiten sind davon abhängig, ob diese im Zusammenhang mit dem einzugehenden Arbeitsverhältnis stehen. Als zulässig eingestuft, hat das BAG bisher beispielweise die Frage danach, ob eine Krankheit vorläge, durch die die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit in periodisch wiederkehrenden Abständen oder auf Dauer eingeschränkt ist. Auch die Frage nach ansteckenden Krankheiten, die eine potentielle Gefahr für Kollegen oder Kunden darstelle, ist zulässig. Zu beachten ist, dass eine erhebliche und eine lange Zeit andauernde Krankheit, eine Behinderung darstellen kann. In diesem Fall gilt das unter dem Punkt „Behinderung“ Gesagte.

Fragen nach Erkrankungen eines Familienmitglieds sind unzulässig.

 

2.12    Gewerkschaftszugehörigkeit

Grundsätzlich ist die Frage nach einer Gewerkschaftszugehörigkeit unzulässig, da sie die Gefahr einer nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG rechtswidrigen Benachteiligung birgt. Nach der Rechtsprechung des BAG gilt dies auch für den Zeitraum nach der Einstellung.

 

2.13    Lohnpfändung

Fragen nach Lohnpfändungen sind grundsätzlich unzulässig. Ausnahmen können sich gegenüber Personen in Vertrauenspositionen ergeben.

 

2.14    Mindestlohn

22 MiLoG regelt den persönlichen Anwendungsbereich für den Mindestlohn. Gemäß § 22 Abs. 4 MiLoG sind Personen, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos iSd § 18 Abs. 1 SGB III waren nicht erfasst. Dem Arbeitgeber steht deshalb ein Fragerecht bezüglich der Zugehörigkeit des Bewerbers zu dieser Personengruppe zu, um feststellen zu können, ob ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn besteht. Der Arbeitnehmer ist zu einer wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet. Die Einholung einer Auskunft bei der Arbeitsagentur oder den Jobcentern bedarf der Einwilligung des Bewerbers.

 

2.15    Nichtrauchereigenschaft

Die Frage nach der Rauchereigenschaft des Bewerbers ist unzulässig. Das Bestehen betrieblicher Rauchverbote sind von dem Arbeitnehmer allerdings zu beachten.

 

2.16    Parteimitgliedschaft

Grundsätzlich ist die Frage nach einer Parteimitgliedschaft Mangels berechtigten Interesses unzulässig. Etwas anderes kann sich bei Tätigkeiten in einer politischen Partei ergeben.

 

2.17    Qualifikation

Fragen bezüglich des beruflichen Werdegangs, der Ausbildung und Qualifikationen sind zulässig. Dies gilt auch für die Ausbildungs- und Weiterbildungszeit. Es besteht folglich eine Pflicht zu wahrheitsgemäßer Beantwortung.

 

2.18    Religionszugehörigkeit

Die Frage nach der Religionszugehörigkeit ist grundsätzlich unzulässig. Etwas anderes kann sich bei einer Tätigkeit in kirchlichen Einrichtungen ergeben.

 

2.19    Tendenzbetriebe

Tendenzbetriebe sind solche, bei denen der Schwerpunkt der Tätigkeit nicht auf dem Gewinn, sondern auf politischen, ideellen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Vorstellungen und Bestimmungen liegt. Je nach Ausrichtung gelten in Tendenzbetrieben erweiterte Fragerechte. So dürfen unter anderem in Presseunternehmen sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten Daten über die Religionszugehörigkeit oder die Weltanschauung der Arbeitnehmer erhoben werden, sofern diese Daten aufgrund der Art der Tätigkeit wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen darstellen. Zu beachten sind die strengen Voraussetzungen des § 8 AGG. Eine Anwendung des § 9 AGG kommt nicht in Betracht, da es nicht um die Anstellung bei einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft geht. Die Erweiterung des Fragerechts ist auf solche Bewerber beschränkt, für deren Tätigkeit die genannten Aspekte von Relevanz sind (Tendenzträger). Dies ist unter anderem bei einem Pförtner oder Hausmeister grundsätzlich nicht der Fall.

 

2.20    Verdienst bei dem bisherigen Arbeitgeber

Eine solche Frage ist dann unzulässig, wenn die bisherige Vergütung für die neue Stelle keine Relevanz hat und der Bewerber sie auch nicht als Mindestvergütung für die erstrebte Stelle verlangt hat.

 

2.21    Vermögensverhältnisse

Grundsätzlich besteht kein berechtigtes Interesse des Arbeitsgebers an einer Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Bewerbers. Ausnahmen können sich für leitende Angestellte oder andere Personen ergeben, die in besonderer Art und Weise für die Vertretung der Vermögensinteressen des Unternehmens zuständig sind.

 

2.22    Vorbeschäftigung

Dem Arbeitgeber steht ein Fragerecht wegen des Verbots der Vorbeschäftigung bei „demselben Arbeitgeber“ nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG hinsichtlich der Frage zu, ob in der Vergangenheit ein solches Arbeitsverhältnis bestand.

 

2.23    Wettbewerbsverbote

Die Frage nach einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot darf der Arbeitgeber stellen, sofern es sich auf die auszuübende Tätigkeit bezieht, da in diesen Fällen die Gefahr besteht, dass der Bewerber die Stelle erst gar nicht antreten kann oder die Arbeit beenden muss.