Anfechtung des Arbeitsvertrages

1.       Was gilt im Allgemeinen?

Wie bei jedem anderen Rechtsgeschäft, können die zum Abschluss eines Arbeitsvertrags führenden Willenserklärungen wegen Irrtum (§ 119 BGB), Drohung oder arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) angefochten werden. Bezüglich der Rechtsfolgen einer Anfechtung ist zwischen einem bereits vollzogenen und einem noch nicht vollzogenen Arbeitsverhältnis zu unterscheiden.

 

2.       In welchem Verhältnis stehen Anfechtung und Kündigung zueinander?

Das Recht zur Anfechtung und zur außerordentlichen Kündigung besteht grundsätzlich nebeneinander. Die Voraussetzungen der jeweiligen Gestaltungsrechte sind verschieden. Während die außerordentliche Kündigung das Bestehen eines wichtigen Grundes voraussetzt, erfordert die Anfechtung das Vorliegen der Voraussetzungen aus §§ 119, 123 BGB.

Im Fall einer irrtümlichen Falschbezeichnung besteht die Möglichkeit eine außerordentliche Kündigungserklärung im Wege der Auslegung als Anfechtungserklärung zu deuten, wenn sich nach Würdigung der Gesamtumstände ergibt, dass die Aufhebung des Arbeitsvertrages aus Gründen der Täuschung oder Drohung herrührt. Entgegen hierzu, kann eine Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine Anfechtungserklärung wegen Irrtums nicht erfolgen.

Einer Anfechtung stehen darüber hinaus keine besonderen Kündigungsverbote entgegen, da es sich bei der Anfechtung und Kündigung um verschiedene Rechtsinstitute handelt. So bedarf es bei der Anfechtung zB nicht der Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG.

 

3.       Welche Frist gilt für die Anfechtung des Arbeitsvertrages?

Grundsätzlich gelten für die Anfechtung der zum Abschluss eines Arbeitsvertrags führenden Willenserklärungen die in §§ 121 und 124 BGB normierten Fristen. Demgegenüber kann eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 BGB nur innerhalb von zwei Wochen seit Kenntniserlangung des Kündigungsgrundes erfolgen. Dieser zweiwöchigen Frist bedient sich das BAG zur Konkretisierung der Anfechtungsfrist des § 119 BGB. Eine Anfechtung aufgrund eines Irrtums erfolgt demnach nur dann unverzüglich, wenn sie innerhalb von zwei Wochen erklärt wird.

Die Frist bei einer Anfechtung wegen Drohung oder arglistiger Täuschung beträgt nach § 124 Abs. 1 BGB ein Jahr. Im Gegensatz zur Irrtumsanfechtung spielt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach der Rechtsprechung des BAG hierfür keine Rolle. Entsprechendes gilt für die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages wegen Drohung. Die Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, in dem der zur Anfechtung berechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung ab dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört.

 

4.       Begründet eine Anfechtung Schadensersatzansprüche?

Die Partei, die den Arbeitsvertrag nach § 119 BGB anficht, kann nach § 122 BGB schadensersatzpflichtig werden. Dem nach § 123 BGB zur Anfechtung berechtigten können Schadensersatzanspruche aus §§ 311, 823, 826 BGB zustehen.

Schadensersatzansprüche bei einer außerordentlichen Kündigung können sich aus § 280 BGB oder § 628 Abs. 2 BGB ergeben.

 

5.       Was versteht man unter einer Bestätigung des Rechtsgeschäfts?

Die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts ist gemäß § 144 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, soweit das anfechtbare Rechtsgeschäft von dem Anfechtungsberechtigten bestätigt wird. Voraussetzung hierfür sind die Kenntnis des Anfechtungsgrundes oder zumindest Zweifel an der Beständigkeit des Vertrags. Unter der Bestätigung selbst versteht man jede Erklärung, in der der Wille des Anfechtungsberechtigten zum Ausdruck kommt, auf ein ihm bekanntes Anfechtungsrecht zu verzichten. Eine Bestätigung durch schlüssiges Verhalten ist grundsätzlich möglich. Das Verhalten muss jedoch den eindeutigen Willen offenbaren, von der Anfechtungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen.

 

6.       Was ist ein Inhalts- und Erklärungsirrtum iSd § 119 Abs. 1 BGB?

Unter einem Irrtum iSd § 119 Abs. 1 BGB versteht man das unbewusste Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Gibt jemand hingegen eine Erklärung in dem Bewusstsein ab, ihren Inhalt nicht zu kennen, liegt kein Irrtum vor. Aus diesem Grund kann beispielsweise ein nicht deutschsprachiger Arbeitnehmer seine Willenserklärung nur anfechten, wenn er sich von dem Inhalt des Vertrages, den er ungelesen unterschrieben hat, eine unrichtige Vorstellung gemacht hat. Hat er sich hingegen keine bestimmte, unrichtige Vorstellung gemacht, scheidet eine Irrtumsanfechtung aus.

 

7.       Was ist ein Eigenschaftsirrtum iSd § 119 Abs. 2 BGB?

Ein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache bei Abgabe der Willenserklärung irrt. Nicht ausreichend ist die bloße Fehlbeurteilung einer Eigenschaft. Es ist vielmehr das Nichtwissen erforderlich. Ebenfalls erforderlich ist bei einer Anfechtung durch den Arbeitgeber, dass sich dieser über wesentliche geistige, körperliche Merkmale oder tatsächliche und rechtliche Verhältnisse des Arbeitnehmers geirrt hat, die sich auf die Eignung zur Arbeit auswirken. Eine Anfechtungsberechtigung des Arbeitgebers ergibt sich ferner nur, wenn dieser die Willenserklärung „bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Fallens nicht abgegeben haben würde“.

Unter einer verkehrswesentlichen Eigenschaft versteht man zB die Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Kassierers. Die Leistungsfähigkeit eines Arbeitnehmers ist hingegen keine verkehrswesentliche Eigenschaft. Krankheiten können dann eine verkehrswesentliche Eigenschaft sein, wenn dem Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig die Fähigkeit zur Arbeitsleistung fehlt.

Die Gewerkschaftszugehörigkeit ist keine verkehrswesentliche Eigenschaft. Auch Vorstrafen werden nur im Ausnahmefall als eine solche Eigenschaft eingestuft, nämlich dann, wenn ein einschlägig vorbestrafter Arbeitnehmer für den vorausgesetzten Arbeitsbereich nach der Verkehrsauffassung nicht geeignet ist.

Auch eine Schwangerschaft ist aufgrund ihrer vorübergehenden Dauer keine verkehrswesentliche Eigenschaft.

 

8.       Was versteht man unter arglistiger Täuschung iSd § 123 BGB?

Eine arglistige Täuschung liegt dann vor, wenn der Täuschende durch Vorspiegelung von Tatsachen beim Erklärungsempfänger einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst. Aus diesem Grund kann die unrichtige Beantwortung einer während des Einstellungsgesprächs gestellten zulässigen Frage den Arbeitgeber zu einer Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB berechtigen, sofern die Falschantwort für den Abschluss des Arbeitsvertrages ursächlich war. Im Gegensatz dazu, kann die bewusst falsche Beantwortung einer Frage im Laufe des bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Anfechtung der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen nicht begründen, da hierfür die erforderliche Ursächlichkeit fehlt. Unerheblich ist, ob die hervorgerufene Fehlvorstellung das einzige für den Vertragsschluss bestimmende Motiv war oder andere Faktoren hinzugetreten sind.

Die Täuschung selbst kann durch aktives Tun (zB Behauptungen), aber auch durch ein Verschweigen von Tatsachen erfolgen, wenn der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet ist. Erforderlich ist stets, dass durch die Täuschung ein Irrtum erregt und der andere so zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst worden ist. Die Täuschung muss sich dabei auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen.

Darüber hinaus muss die Täuschung arglistig erfolgt sein. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen der Wahrheit widersprechen oder aufgrund des Verschweigens bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim gegenüber entstehen oder aufrechterhalten werden. Insoweit ist Fahrlässigkeit nicht ausreichend. Der Täuschende muss zumindest bedingt vorsätzlich handeln. Er muss also wissen oder erkennen, dass seine Täuschung für die Entscheidung des anderen zum Vertragsschluss wesentlich sein würde. Von dem Merkmal der Arglist erfasst, sind somit sowohl betrügerische Absichten, als auch Verhaltensweisen im Sinne eines bloßen Fürmöglichhaltens. Für das Vorliegen der Arglist trägt der Anfechtende die Beweislast.

Eine weitere Voraussetzung des Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung ist die Widerrechtlichkeit. Dieses Erfordernis ergibt sich unter anderem aus dem „Recht zur Lüge“. Demnach ist nicht jede falsche Angabe bei der Einstellung erfasst, sondern nur unrichtige Antworten auf eine zulässigerweise gestellte Frage.

Sollte die Rechtslage des Getäuschten durch die arglistige Täuschung nicht oder nicht mehr beeinträchtigt sein und deshalb der Anfechtungsgrund im Zeitpunkt des Erklärungszugangs seine Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses verloren haben, ist die Anfechtung nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.

 

9.       Was versteht man unter einer Drohung iSd § 123 BGB?

Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Als Übel reicht dabei jeder Nachteil. Darüber hinaus muss der Drohende den Willen besitzen, den anderen Vertragsteil zur Abgabe einer Willenserklärung zu bestimmen. Dies erfordert ein Bewusstsein aufseiten des Drohenden dafür, dass sein Verhalten die Willensbildung des Bedrohten beeinflussen kann. Der Drohende muss jedoch nicht mit Schädigungsvorsatz handeln. Auch ist nicht erforderlich, dass er sich durch die Drohung einen Vorteil verschaffen will.

Durch die Drohung muss bei dem Bedrohten eine Zwangslage entstehen, die ihm das Gefühl verleiht, sich nur noch zwischen zwei Übeln entscheiden zu können. Unerheblich ist sowohl, ob die Drohung ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten erfolgt, als auch, ob sie von dem Vertragspartner selbst oder einem Dritten herrührt.

Zur Anfechtung berechtigt eine solche Drohung dann, wenn der Abschluss des Vertrages widerrechtlich durch sie herbeigeführt worden ist. Widerrechtlich ist die Drohung, wenn der erstrebte Erfolg oder das angedrohte Verhalten rechtswidrig ist. Sind sowohl das gewählte Mittel als auch der damit verfolgte Zweck nicht verboten, kann sich die Widerrechtlich trotzdem aus der Unangemessenheit des gewählten Mittels im Verhältnis zum verfolgten Zweck ergeben. Droht der Arbeitgeber mit einer außerordentlichen Kündigung, ist dieses Verhalten dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Betracht ziehen durfte.

Die Drohung muss darüber hinaus für die angefochtene Willenserklärung kausal, dh ursächlich gewesen sein. Hierbei genügt eine Mitursächlichkeit. Wichtig ist, dass der Bedrohte noch bei der Abgabe der Willenserklärung unter dem Einfluss der Drohung gehandelt haben muss.

Arbeitsrechtliche Relevanz erlangt diese Anfechtungsmöglichkeit vor allem in Bezug auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrages.

 

10.     Welche Rechtsfolgen hat die Anfechtung eines Arbeitsvertrages?

Grundsätzlich wird ein wirksam angefochtener Vertrag gemäß § 142 Abs. 1 BGB mit rückwirkender Kraft (sog. ex-tunc-Wirkung) beseitigt. Der Vertrag gilt als quasi von Anfang an nicht geschlossen.

Etwas anderes ergibt sich jedoch bei bereits vollzogenen Arbeitsverhältnissen. Hier gilt der Grundsatz der Rückwirkung der Anfechtung aufgrund von Rückabwicklungsschwierigkeiten nicht. In diesem Fall hat die Anfechtung nur eine mit der Kündigung vergleichbare Wirkung. Das Arbeitsverhältnis wird für die Vergangenheit wie ein fehlerfrei zustande gekommenes behandelt und mit Wirkung für die Zukunft (sog. ex-nunc-Wirkung) aufgelöst. Eine Rückabwicklung der erbrachten Leistungen scheidet daher regelmäßig aus. Hiervon wird jedoch wiederum eine Rückausnahme gemacht, sofern der Arbeitnehmer aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet hat. In einem solchen Fall bestehen keine Rückabwicklungsschwierigkeiten, weil keine Arbeitsleistung erbracht worden ist, die nicht zurückgewährt werden kann. Weitere Rückausnahmen können im Falle eines besonders schweren Mangels bestehen.