Betriebsrat – Betriebsvereinbarungen

1.    Was ist eine Betriebsvereinbarung?

Bei einer Betriebsvereinbarung handelt es sich um einen privatrechtlichen Normenvertrag zwischen den Betriebsparteien, der kollektives und objektives Recht regelt. Betriebsvereinbarungen sind Ausfluss dessen, dass die Betriebsparteien ihre Angelegenheiten in ihrem Autonomiebereich im eigenen Namen regeln und danach handeln. Nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend. Der Inhalt von Betriebsvereinbarungen muss hinreichend bestimmt und zumindest durch Auslegung bestimmbar sein.

Der Betriebsrat kann aus der betreffenden Betriebsvereinbarung in Verbindung mit § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG vom Arbeitgeber deren Durchführung im Betrieb verlangen. Mithin besteht ein Durchführungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber.

 

2.    Wie kommen Betriebsvereinbarungen zustande?

Eine Betriebsvereinbarung kann auf zwei Wegen geschlossen werden. Entweder durch einen Vertragsschluss zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat oder den Spruch einer Einigungsstelle.

Zum Teil vollzieht sich der Abschluss einer Betriebsvereinbarung nach den Regelungen des BGB. Erforderlich sind deshalb korrespondierende Willenserklärungen von Arbeitgeber und Betriebsrat. Der Arbeitgeber kann sich bei der Abgabe der Willenserklärung durch einen gesetzlichen oder einen sonstigen Vertreter vertreten lassen. Der Betriebsrat wird gemäß § 26 Abs. 2 BetrVG durch seinen Vorsitzenden vertreten.

Voraussetzung für einen wirksamen Abschluss einer Betriebsvereinbarung ist ein darauf bezogener Beschluss des Betriebsrats. Fehlt ein solcher Beschluss bei der Unterzeichnung der Vereinbarung, ist diese unwirksam.

Ebenfalls zu beachten ist, dass die Betriebsvereinbarung entweder gemäß § 125 Abs. 1 S. 1 BGB schriftlich oder in elektronischer Form nach § 126a Abs. 1 BGB geschlossen werden muss. Bei einem Verstoß gegen das einschlägige Schriftformerfordernis, ist die Betriebsvereinbarung unwirksam.

Nach § 77 Abs. 2 S. 3 BetrVG hat der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen.

 

3.    Wie und wo gilt die Betriebsvereinbarung?

Nach § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend. Unter unmittelbarer Wirkung versteht man, dass die Bestimmungen des normativen Teils der Betriebsvereinbarung den Inhalt der Arbeitsverhältnisse wie ein Gesetz gestalten, ohne dass es auf den Willen oder die Kenntnis der Vertragsparteien ankommt. Auch die unmittelbare Wirkung selbst kann von den Parteien nicht abbedungen werden. Zwingend ist die Wirkung deshalb, da von den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung nicht zu Lasten der Arbeitnehmer abgewichen werden darf. Daraus folgt, dass die Arbeitsvertragsparteien keine wirksamen Vereinbarungen schließen können, die in Widerspruch zu der Betriebsvereinbarung stehen.

Durch die Betriebsvereinbarung werden alle in ihrem zeitlichen Geltungsbereich zuvor getroffenen vertraglichen Abreden verdrängt. Etwas anderes gilt nach dem sog. Günstigkeitsprinzip nur, wenn der einzelne Arbeitsvertrag für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen enthält.

Die Betriebsvereinbarung selbst, gilt regelmäßig nur für den Betrieb, für den sie abgeschlossen ist. Besteht ein Unternehmen aus mehreren Betrieben, kann für jeden eine eigene Betriebsvereinbarung gelten. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung, die dann für alle Betriebe eines Unternehmens gilt. Gleiches ist auf Konzernebene möglich (sog. Konzernbetriebsvereinbarung). Persönlich bezieht sich die Betriebsvereinbarung auf aktive und auf die später eingetretenen Mitarbeiter. Es kann auch zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen differenziert werden. Dabei sind allerdings der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG zu beachten. Durch Betriebsvereinbarungen nicht erfasst sind leitende Angestellte sowie im Ruhestand befindliche Mitarbeiter.

 

4.    Was kann alles im Rahmen einer Betriebsvereinbarung geregelt werden?

Grundsätzlich stehen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat eine umfassende Regelungskompetenz zu. Sie können daher alle betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen sowie Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen regeln. Die Regelungsmacht der Betriebsparteien ist lediglich hinsichtlich normativer Ansprüche gegenüber anderen Rechtsträgern begrenzt. Deshalb können durch eine Betriebsvereinbarung nur Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen den Betriebsparteien oder gegenüber Arbeitnehmern begründet werden. Es darf keine Regelung zu individuellen Rechtspositionen oder den außerdienstlichen, privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers getroffen werden.

Darüber hinaus sind die Betriebsparteien nicht dazu befugt, das von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Recht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer, sich aktiv an der koalitionsmäßigen Betätigung ihrer Gewerkschaft zu beteiligen, auszugestalten.

 

5.    Was versteht man unter dem sog. Tarifvorrang?

Aus § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG ergibt sich, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Etwas anderes gilt nach Abs. 3 S. 2 BetrVG nur, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Sonstige Arbeitsbedingungen im Sinne der Vorschrift sind alle Regelungen, die als Gegenstand tarifvertraglicher Inhaltsnormen nach § 1 TVG den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen. Von dem Tarifvorrang erfasst sind nicht nur von einem Tarifvertrag abweichende, sondern auch inhaltsgleiche bzw. zusätzliche Vereinbarungen über Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen. Tarifvertragliche Regelungen können auch nicht in Betriebsvereinbarungen übernommen werden.

Eine Ausnahme von der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG besteht hinsichtlich der Angelegenheiten, die der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegen.

Ferner ist für die Sperrwirkung erforderlich, dass eine in der Betriebsvereinbarung enthaltene Angelegenheit auch tarifvertraglich geregelt ist und dieser Tarifvertrag entweder für den Arbeitgeber kraft Tarifbindung unmittelbar und zwingend gilt oder zumindest üblicherweise gelten würde. Wirkt ein Tarifvertrag nur im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG nach, entfaltet dieser keine Tarifsperre. Für die Annahme der Tarifüblichkeit genügt es, wenn mehrere Tarifverträge hintereinander abgeschlossen werden oder ein Tarifvertrag längere Zeit besteht. Keine Tarifüblichkeit liegt hingegen vor, wenn die Tarifparteien nur ankündigen oder beabsichtigen, eine bestimmte Angelegenheit künftig tarifvertraglich zu regeln, ohne dass es in der Vergangenheit bereits einen einschlägigen Tarifvertrag gab.

Eine Betriebsvereinbarung, die gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstößt, ist unwirksam. Dies gilt unabhängig von ihrem Inhalt. Unerheblich ist dabei auch, ob die Betriebsvereinbarung für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen als der Tarifvertrag enthält.

 

6.    Wann ist eine Betriebsvereinbarung unwirksam?

Die Betriebsvereinbarung kann unter anderem unwirksam sein, wenn sie gegen das Schriftformgebot oder § 77 Abs. 3 BetrVG verstößt. Darüber hinaus kann sich eine Unwirksamkeit aus der fehlenden Zuständigkeit der abschließenden Arbeitnehmervertretung oder der fehlenden Regelungsmacht der Betriebsparteien ergeben. Ebenfalls unwirksam ist eine Betriebsvereinbarung, wenn sie gegen höherrangiges Recht verstößt. Liegt ein Verstoß nur bei einzelnen Regelungen vor, kann der Rest der Vereinbarung wirksam bleiben (vgl. § 139 BGB).

Lag bei Vertragsschluss ein Irrtum, eine Täuschung oder eine Drohung vor, kann die Betriebsvereinbarung auch angefochten werden. Die Anfechtung hat dann aber nur Wirkung für die Zukunft (ex nunc).

 

7.    Kann ein Arbeitnehmer auf die Betriebsvereinbarung verzichten?

Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer auf Rechte aus einer Betriebsvereinbarung verzichten. Der Verzicht bedarf jedoch gemäß § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrates. Liegt diese nicht vor, ist der Verzicht unwirksam. Die Zustimmung des Betriebsrates kann vorweg in Form der Einwilligung oder nachträglich in Form der Genehmigung erfolgen. Immer erforderlich ist der Beschluss des Gremiums. Eine Zustimmung liegt nur vor, wenn der Betriebsrat unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er im Einzelfall mit dem Verzicht einverstanden ist. Darüber hinaus ist gemäß § 77 Abs. 4 S. 3 BetrVG die Verwirkung der Rechte aus einer Betriebsvereinbarung ausgeschlossen.

Gemäß § 77 Abs. 4 S. 4 BetrVG sind Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechten aus der Vereinbarung nur zulässig, als sie in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden. Dasselbe gilt für die Abkürzung der Verjährungsfristen.

 

8.    In welchem Verhältnis stehen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag zueinander?

Im Verhältnis zwischen Betriebsvereinbarung und Arbeitsvertrag gilt das Günstigkeitsprinzip. Hieraus ergibt sich, dass der Inhalt eines Arbeitsvertrages im Nachhinein nicht durch eine verschlechternde Betriebsvereinbarung abgeändert werden darf. In einem solchen Fall wird die Vereinbarung jedoch nur durch die günstigere arbeitsvertragliche Regelung verdrängt. Die Betriebsvereinbarung selbst bleibt wirksam. Im umgekehrten Fall, wenn die arbeitsvertragliche Regelung ungünstiger ist, ist diese ebenfalls nicht nichtig. Sie kommt lediglich für die Geltungsdauer der Betriebsvereinbarung nicht zur Anwendung.

Der Arbeitgeber kann die Geltung des Günstigkeitsprinzips nur verhindern, wenn er die Leistung unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung gewährt.

Das Günstigkeitsprinzip gilt auch hinsichtlich Ansprüchen über freiwillige Sozialleistungen aus Gesamtzusagen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

 

9.    Was ist bei einer ablösenden Betriebsvereinbarung zu beachten?

Für den Fall, dass eine ältere Betriebsvereinbarung durch eine neuere abgelöst werden soll, gilt die sog. Zeitkollisionsregel. Danach ersetzt die jüngere Norm die ältere. Hieraus folgt, dass die Betriebsparteien ihre Vereinbarungen jederzeit durch Bestimmungen einer neuen Betriebsvereinbarung ersetzen können, auch wenn dies eine Verschlechterung der bisherigen Rechtspositionen der Arbeitnehmer zur Folge hat. Zu beachten ist aber stets das Rückwirkungsverbot und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes.

 

10.  Wann endet eine Betriebsvereinbarung?

Liegt eine Befristung der Betriebsvereinbarung vor, endet diese mit Ablauf der Zeit, für die sie eingegangen ist. Es besteht die Möglichkeit einer zeitlichen Befristung (zB bis zum 1.7. eines Kalenderjahres) oder einer Zweckbefristung.

Darüber hinaus endet eine Betriebsvereinbarung, wenn sie von den Betriebsparteien einvernehmlich aufgehoben wird. Eine solche Aufhebung ist jederzeit möglich. Sie bedarf grundsätzlich der Schriftform.

Nach § 77 Abs. 5 BetrVG können Betriebsvereinbarungen, soweit nichts anderes vereinbart ist, mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Die Kündigung muss nicht schriftlich erfolgen und bedarf nicht der ausdrücklichen Verwendung des Wortes „Kündigung“. Erforderlich ist nur, dass sich ergibt, dass die Betriebsvereinbarung beendet werden soll. Eines besonderen Kündigungsgrundes bedarf es nicht. Die Parteien können jedoch in der Betriebsvereinbarung Regelungen über die Voraussetzungen der Kündigung treffen. Sofern ein wichtiger Grund vorliegt, kann die Betriebsvereinbarung auch außerordentlich, also ohne Einhaltung der Frist, gekündigt werden.

Die Betriebsvereinbarung endet nicht mit der Amtszeit des Betriebsrates. Etwas anderes gilt bei einer Betriebsstilllegung. Erfolgt eine solche und setzt die Betriebsvereinbarung die Existenz einer betrieblichen Organisation voraus, wird diese gegenstandslos, wenn der Betrieb stillgelegt wird. Bei einer späteren Wiederinbetriebnahme lebt die Betriebsvereinbarung nicht wieder auf.

 

11.  Was ist hinsichtlich der Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung zu beachten?

Gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG gelten nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung ihre Regelungen in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Durch die Nachwirkung wird verhindert, dass nach Ablauf der Betriebsvereinbarung ein regelungsloser Zustand entsteht. Zu beachten ist allerdings, dass die Betriebsvereinbarung mit ihrem Ablauf ihre zwingende Wirkung verliert. Deshalb können Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab diesem Zeitpunkt abweichende Regelungen treffen. Im Nachwirkungszeitraum behält die Betriebsvereinbarung aber ihre unmittelbare Wirkung für die bisher im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer.

Die Nachwirkung tritt allerdings nur ein, wenn die Betriebsvereinbarung Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung regelt. Erzwingbar ist die Mitbestimmung dann, wenn sowohl Arbeitgeber wie auch Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen können. Hiervon sind vor allem die Tatbestände der sozialen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG erfasst.