Tarifverträge

1.    Wie ist das Tarifvertragsrecht entstanden?

Der Ursprung des Tarifvertragsrechts liegt in den sozialen und wirtschaftlichen Interessenskämpfen des 19. Jahrhunderts. Damals ermöglichte § 152 Abs. 1 GewO (alte Fassung) zwar die Bildung von Koalitionen, entsprechende Abreden blieben jedoch nach § 152 Abs. 2 GewO (alte Fassung) unverbindlich. Normativ abgesichert wurden Tarifvereinbarungen sodann nach dem ersten Weltkrieg in der Verordnung über Tarifverträge (TVVO). Das Tarifvertragsgesetz (TVG) wurde am 22. April 1949 erlassen und ging somit dem deutschen Grundgesetz voraus.

 

2.    Wer kann Tarifvertragspartei sein?

§ 2 TVG bestimmt, wer Partei eines Tarifvertrags sein kann. Nach Abs. 1 der Regelung sind dies die Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. Gemäß § 2 Abs. 2 TVG können auch Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern (Spitzenorganisationen) im Namen der ihnen angeschlossenen Verbände Tarifverträge abschließen, wenn sie eine entsprechende Vollmacht haben. Nach Abs. 3 können Spitzenorganisationen selbst Parteien eines Tarifvertrages sein, wenn der Abschluss von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört.

Der Abschluss von Tarifverträgen setzt die sogenannte Tariffähigkeit voraus. Hierunter versteht man die Fähigkeit, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler unter anderem die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, dass sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten.

 

3.    Wie kommt ein Tarifvertrag zustande?

Das Zustandekommen eines Tarifvertrages erfolgt grundsätzlich nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Dabei spielen vor allen Dingen die Bestimmungen über Willenserklärungen (§§ 116 ff. BGB) sowie diejenigen über den Vertragsschluss (§§ 145 ff. BGB) eine Rolle. Für den Abschluss eines Tarifvertrages sind zunächst übereinstimmende Willenserklärungen in Form von Antrag und Annahme erforderlich. Nach § 1 Abs. 2 TVG bedürfen diese der Schriftform. Zur Vorbereitung kann auch ein schuldrechtlicher Vorvertrag geschlossen werden, der dann noch in einen Tarifvertrag umgesetzt werden muss.

Die Tarifvertragsparteien können über den Abschluss eines Tarifvertrages grundsätzlich frei entscheiden. Das Gleiche gilt für die bloße Aufnahme von Verhandlungen über einen Tarifvertrag. Ein Anspruch auf Tarifvertragsverhandlungen besteht hingegen nicht. Es kann jedoch tarifvertraglich eine Verhandlungspflicht von den Vertragsparteien vereinbart werden.

Beim Abschluss eines Tarifvertrages werden die einzelnen Parteien regelmäßig vertreten. Hierbei gelten die allgemeinen Regelungen der §§ 164 ff. BGB.

Eine Abweichung von den allgemeinen Regelungen des BGB erfolgt in Bezug auf etwaige Willensmängel bei Abschluss des Tarifvertrages. Sowohl der § 119 BGB als auch § 123 BGB sind nicht anwendbar. Sofern es doch zu einer Anfechtung kommen sollte, wirkt diese entgegen § 142 BGB nur ex nunc, also ausschließlich für die Zukunft.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit des Abschlusses eines mehrgliedrigen Tarifvertrages. Bei einem solchen stehen auf einer oder auf beiden Seiten mehrere Tarifvertragsparteien.

 

4.    In welchem Verhältnis stehen Tarifverträge zu anderen Rechtsquellen?

Nach § 1 Abs. 1 TVG regelt der Tarifvertrag Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.  Er besteht folglich aus einem schuldrechtlichen Teil (Rechte und Pflichten der Vertragsparteien) und aus einem normativen Teil (Rechtsnormen). Die Normenwirkung des Tarifvertrages ist in § 4 Abs. 1 TVG konkretisiert.

Aufgrund der Normenwirkung werden Tarifverträge als Gesetz im materiellen Sinn behandelt.

Durch den materiellen Gesetzescharakter sind Tarifverträge an das Primärrecht der EU und die unmittelbar geltenden Verordnungen gebunden, sofern es sich um innerstaatlich unmittelbar anwendbare Regelungen handelt. Beispielhaft zu nennen ist hierfür die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV. Darüber hinaus unterliegen auch Tarifverträge dem Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung.

Daneben sind die Tarifvertragsparteien zumindest mittelbar an die Grundrechte gebunden. Eine unmittelbare Grundrechtsbindung ist hingegen nicht anzunehmen, da die Tarifvertragsparteien keine staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ausüben.

Zu beachten ist weiterhin, dass auch der Gesetzgeber arbeitsrechtliche Regelungen schaffen kann. An dieses einfache Gesetzesrecht können auch Tarifvertragsparteien gebunden sein. Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen zweiseitig zwingendem, einseitig zwingendem und dem dispositiven Recht. Welcher Regelungsform bestimmte Normen zuzuordnen sind, ist durch Auslegung zu ermitteln. Handelt es sich um arbeitsrechtliche Regelungen kann man grundsätzlich von einseitig zwingendem Recht ausgehen. Im Gegensatz dazu liegt bei Organisationsregelungen regelmäßig eine zweiseitig zwingende Regelung vor. Charakteristisch für einseitig zwingendes Recht ist, dass es einer Abänderung zugunsten des Arbeitnehmers zugänglich ist. Eine solche Abänderung kann sowohl arbeitsvertraglich oder durch betriebliche sowie tarifvertragliche Regelungen erfolgen. Beispielhaft zu nennen ist hierfür das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Von zweiseitig zwingendem Recht kann hingegen auch nicht zugunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Hierunter fällt beispielsweise das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Von dispositivem Recht kann in beide Richtungen abgewichen werden. Handelt es sich dabei um tarifdispositives Recht, darf hiervon grundsätzlich nur durch tarifvertragliche Vereinbarung abgewichen werden, außer es handelt es um den Arbeitnehmer begünstigende Abweichungen.

 

5.    Was ist eine Allgemeinverbindlicherklärung und welche Wirkungen hat sie?

Durch die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages kann eine Ausweitung der Tarifgebundenheit erreicht werden, die über die unmittelbar nach § 3 Abs. 1 und 3 TVG erfassten Personen hinausgeht. Die Allgemeinverbindlicherklärung erfolgt nach § 5 Abs. 1 TVG durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Es handelt sich mithin um einen staatlichen Hoheitsakt. Nach § 5 Abs. 4 TVG erfassen mit der Allgemeinverbindlicherklärung die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der für allgemeinverbindlich erklärte Tarifvertag erstreckt sich danach sowohl auf nicht als auch auf anders Organisierte. Eine Kenntnis von der Allgemeinverbindlicherklärung ist nicht erforderlich. Die Normen des Tarifvertrags gelten nach der Erklärung unmittelbar und zwingend in seinem jeweiligen Geltungsbereich. Erfasst sind folglich nur solche Arbeitsverhältnisse, die vom räumlichen, zeitlichen, betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags erfasst sind. Eine Ausweitung des Geltungsbereichs selbst ist nicht möglich. Eine Begrenzung des Geltungsbereichs durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist hingegen durch eine sog. Einschränkungsklausel erreichbar. Hierfür bedarf es jedoch eines sachlichen Grundes, der oftmals in der Vermeidung von Tarifkonkurrenzen liegen kann.

Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung bezieht sich nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 4 TVG jedoch nur auf die Normen des Tarifvertrages, nicht hingegen auf die schuldrechtlichen Verpflichtungen, die tarifvertraglich geregelt sind.

 

6.    Was ist hinsichtlich Bezugnahmeklauseln zu beachten?

6.1      Grundsatz

Grundsätzlich gelten Tarifverträge für ein Arbeitsverhältnis nur bei beiderseitiger Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien. Eine solche Tarifgebundenheit kann sich einerseits aus einer Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG ergeben oder aufgrund einer Allgemeinverbindlicherklärung oder einer Rechtsverordnung nach § 7 AentG und § 3a AÜG.

In der Praxis ergibt sich die Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien jedoch regelmäßig aus einer vertraglich vereinbarten Bezugnahme eines Tarifvertrages oder des gesamten Tarifwerks einer Branche oder eines Verbandes. Eine solche Bezugnahme ist durch den Grundsatz der Vertragsfreiheit legitimiert und grundsätzlich zulässig. Durch die Verwendung von Bezugnahmeklauseln wird die Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen geschaffen. Eine Bezugnahmeklausel kann auch von tarifgebundenen Arbeitgebern verwendet werden, um die eine vereinfachte Gestaltung von Arbeitsverträgen zu erreichen.

Der Vorteil einer vollständigen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag kann auch darin liegen, dass anders als bei einseitig gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB stattfindet.

Die Wirkung einer Bezugnahmeklausel ist rein vertraglicher Natur. Es kommt daher nicht zu einer Tarifgebundenheit im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG. Die Vertragsparteien können über die Inhaltsänderung des Arbeitsvertrages frei entscheiden. Besonderheiten können sich ergeben, wenn die Arbeitsvertragsparteien normativ an einen Tarifvertrag gebunden sind und über die Bezugnahmeklausel ein anderer Tarifvertrag anzuwenden ist. In diesem Fall gilt nach dem Günstigkeitsprinzip aus § 4 Abs. 3 TVG die günstigere Regelung.

 

6.2      Zustandekommen

Grundsätzlich erfolgt die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag durch eine individualvertragliche Vereinbarung oder durch betriebliche Übung. Theoretisch ist auch eine Bezugnahme durch Betriebsvereinbarung auf zumindest einzelne Teilbereiche eines Tarifvertrages möglich.

Die Regelung einer Bezugnahmeklausel ist formfrei möglich. Das Schriftformerfordernis des § 1 Abs. 2 TVG muss nicht eingehalten werden. Da die tariflichen Regelungen durch die Bezugnahme Teil des Arbeitsvertrags werden, sind sie als wesentliche Arbeitsbedingungen in den schriftlichen Arbeitsnachweis nach § 2 Abs. 1 und 3 NachwG aufzunehmen.

Ist die Bezugnahmeklausel in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag enthalten, unterliegt sie als Allgemeine Geschäftsbedingung der AGB-Kontrolle. Abzugrenzen ist die Kontrolle der Bezugnahmeklausel strikt von der Kontrolle der in Bezug genommenen tariflichen Regelungen.

 

6.3      Gegenstand

Der Inhalt und der Umfang der Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen ist den Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich freigestellt. Im Fall einer sog. Globalverweisung, werden sämtliche Bestimmungen eines Tarifvertrages, die Abschluss, Inhalt und Beendigung des Arbeitsverhältnisses regeln, erfasst. Im Normalfall wird in der Arbeitswelt auf den Tarifvertrag verwiesen, der bei Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien nach seinem Geltungsbereich gelten würde.

Die Bezugnahmeklausel kann sich aber auch nur auf Teile eines Tarifvertrages beziehen. Genau so möglich ist die Bezugnahme auf Teilbereiche sowie einzelne Vorschriften eines Tarifvertrages.

 

6.4      Reichweite

Eine abschließende Auflistung unterschiedlicher Bezugnahmeklauseln ist aufgrund der Vertragsfreiheit nicht möglich. In der Praxis gibt es jedoch bestimmte Klauseln, die üblicherweise benutzt werden.

Zunächst gibt es die sog. statische Bezugnahmeklausel. Sie verweist inhaltlich meist auf einen bestimmten Tarifvertrag, mehrere Tarifwerke oder ein bestimmtes Tarifwerk einer Branche. Die Reichweite einer solchen Vereinbarung bestimmt sich anhand des Einzelfalls, sofern der Wortlaut nicht genügend Aufschluss hierüber vermittelt.

Daneben besteht die Möglichkeit einer zeitdynamischen Bezugnahmeklausel. Inhaltlich bezieht sich die Klausel auf einen Tarifvertrag und umfasst gleichzeitig die den ursprünglichen Tarifvertrag ändernden, ergänzenden und ersetzenden Tarifvertrag. Es handelt sich somit um den Fall einer vereinbarten Tarifsukzession innerhalb des Geltungsbereichs des ursprünglichen Tarifvertrages.

In der Praxis wird außerdem oft eine sog. Tarifwechselklausel verwendet. Dabei wird vereinbart, dass die Bedingungen der jeweils für den Betrieb einschlägigen oder geltenden Tarifverträge anzuwenden sind. Durch diese Art von Klausel soll ermöglicht werden, dass der Arbeitgeber die Normen anderer einschlägiger Tarifverträge einer anderen Branche anwenden kann.