Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
1. Was regelt das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)?
Das EFZG regelt die Entgeltfortzahlung von Arbeitnehmern im Krankheitsfall und an gesetzlichen Feiertagen sowie die wirtschaftliche Sicherung im Bereich der Heimarbeit. Als Arbeitnehmer iSd EFZG sind gemäß § 1 Abs. 2 EFZG Arbeiter und Angestellte sowie die zu ihrer Ausbildung Beschäftigten einzuordnen. Keine Anspruchsberechtigte sind gekündigte Arbeitnehmer, die nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch vorläufig weiterbeschäftigt werden. Auch nicht anspruchsberechtigt sind Vorstände und Geschäftsführer, soweit sie nicht Arbeitnehmer sind.
Das EFZG gilt auch für Arbeitsverhältnisse, die von vornherein unwirksam oder angefochten worden sind (sog. faktisches Arbeitsverhältnis).
2. Welche Voraussetzungen hat der Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall?
Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“. § 3 Abs. 1 EFZG durchbricht diesen Grundsatz, wenn die Voraussetzungen für die dort geregelte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorliegen. In diesem Fall behält der Arbeitnehmer seinen Vergütungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen, wenn er krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
2.1 Krankheit
Unter einer Krankheit iSd EFZG ist jeder regelwidrige Körper- und Geisteszustand zu verstehen, der einer Heilbehandlung bedarf. Die Regelwidrigkeit eines solchen Zustands ist dann gegeben, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist. Die Heilbarkeit der Krankheit spielt keine Rolle.
Eine Erkrankung liegt auch bei physischer oder psychischer Abhängigkeit von Alkohol vor, sofern der Arbeitnehmer seine Steuerungsfähigkeit verloren hat und nicht mehr dazu in der Lage ist, den übermäßigen Alkoholgenuss aufzugeben. Dasselbe gilt für die Abhängigkeit von anderen Drogen und Nikotin.
Eine planmäßig verlaufende Schwangerschaft ist keine Krankheit iSd § 3 Abs. 1 EFZG. Ebenfalls keine Krankheit ist das altersbedingte Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit und der Arbeitskraft.
2.2 Arbeitsunfähigkeit
Für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ist eine vom Arzt nach objektiven Maßstäben vorzunehmende Bewertung des Gesundheitszustandes maßgebend. Keine Rolle spielt dabei die subjektive Wertung des Arbeitnehmers. Darüber hinaus ist für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers die geschuldete Leistung zu berücksichtigen.
Im Ergebnis ist dann von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber wegen der Krankheit seine vertraglich geschuldete Leistung nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung der Krankheit hierdurch verhindert oder verzögert wird. Eine Arbeitsunfähigkeit liegt außerdem vor, wenn der Arbeitnehmer seine Leistung aufgrund einer erforderlichen Heilbehandlung nicht erbringen kann.
Zu beachten ist, dass im Falle einer nicht medizinisch indizierten Schönheitsoperation keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt.
Auch der ambulante Arztbesuch als solcher führt zu keiner entgeltfortzahlungspflichtigen Arbeitsunfähigkeit. In Betracht kommt hier aber eine Arbeitsverhinderung nach § 616 BGB.
Ist der Arbeitnehmer an COVID-19 erkrankt, ist er arbeitsunfähig. Etwas anderes ergibt sich nur in Fällen, in denen der Arbeitnehmer symptomlos ist und im Homeoffice arbeiten kann.
2.3 Kausalität
Grundsätzlich muss die Krankheit die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit sein. Andere Gründe sind nur zu berücksichtigen, wenn es sich um reale Ursachen handelt, die im konkreten Fall für den Arbeitsausfall zumindest auch wirksam geworden sind. Hypothetische Geschehensabläufe sind nicht zu berücksichtigen.
Ist ein Arbeitnehmer nicht dazu bereit zu arbeiten, erhält er auch bei einer hinzutretenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit keine Vergütung.
In dem Fall, dass der Arbeitnehmer kurz vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit längere Zeit der Arbeit unberechtigterweise ferngeblieben ist, muss er beweisen, dass er ohne Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gearbeitet hätte.
Eine weitere Besonderheit gilt im Rahmen der Erkrankung des Arbeitnehmers innerhalb des Urlaubs. Gemäß § 9 BurlG werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub angerechnet. Folglich ist der Urlaub dann kraft Gesetzes unterbrochen. Während dieses Zeitraums erhält der Arbeitnehmer aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung nach §§ 3 und 4 EFZG.
Während der Elternzeit besteht grundsätzlich kein Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem EFZG.
2.4 Verschulden des Arbeitnehmers
Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers ist ausgeschlossen, wenn er seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Das Verschulden des Arbeitnehmers ist zu bejahen, wenn ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vorliegt. Erforderlich ist ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten.
Ein Arbeitsunfall ist beispielsweise dann verschuldet, wenn er gegen ein Verbot des Arbeitgebers oder gegen Unfallverhütungsvorschriften verstößt oder auf besonders leichtfertigem oder unbedachtem Verhalten beruht.
Verkehrsunfälle sind verschuldet, wenn sie auf einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Verkehrsregeln beruhen.
Bei einem Sportunfall liegt ein Verschulden des Arbeitnehmers vor, wenn er an einer besonders gefährlichen Sportart teilnimmt oder er sich in einer seine Kräfte deutlich übersteigenden Art sportlich betätigt oder in besonders grober Weise und leichtsinnig gegen anerkannte Regeln des Sports verstößt.
Eine Alkoholsucht führt nach der heutigen Rechtsprechung des BAG nicht zu einer durch den Arbeitnehmer selbst verschuldeten Arbeitsunfähigkeit. Ein Verschulden kann nur gegebenenfalls bei einem Rückfall nach einer Rehabilitationsmaßnahme angenommen werden.
Zu beachten ist weiterhin, dass sich der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit nicht genesungswidrig verhalten darf. Mithin hat er alles zu vermeiden, was seine Genesung verzögern könnte.
Liegt ein Verschulden des Arbeitnehmers vor, hat dies zur Folge, dass der Entgeltfortzahlungsanspruch entfällt. In dem Fall, dass der Arbeitgeber bereits eine Vergütungsfortzahlung geleistet hat, kann er die erbrachten Zahlungen nach § 812 BGB zurückverlangen.
2.5 Verschulden des Arbeitgebers oder eines Dritten
Beruht die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auf dem alleinigen Verschulden des Arbeitgebers, ergibt sich der Entgeltfortzahlungsanspruch aus § 326 Abs. 2 S. 1 BGB. Ob sich der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 EFZG oder § 326 Abs. 2 S. 1 BGB richtet, hängt in einem solchen Fall ausschließlich davon ab, ob der Arbeitgeber allein oder weit überwiegend für die Arbeitsunfähigkeit verantwortlich ist. Ist der Umstand der Arbeitsunfähigkeit überwiegend durch den Arbeitnehmer selbst verschuldet worden, entfällt ein Fortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG auch, wenn den Arbeitgeber ein Mitverschulden trifft.
Verschuldet ein Dritter die Arbeitsunfähigkeit, bleibt der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 Abs. 1 EFZG bestehen. Ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Dritten geht kraft Gesetzes nach § 6 EFZG auf den Arbeitgeber über.
2.6 Wartezeit
Gemäß § 3 Abs. 3 EFZG entsteht der Entgeltfortzahlungsanspruch nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Für die Erfüllung der Wartezeit ist nicht eine tatsächliche Beschäftigung notwendig. Ausreichend ist das vierwöchige rechtliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses.
3. Wie lange besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch?
Grundsätzlich besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen (42 Kalendertage). Umfasst sind auch arbeitsfreie Tage (zB Sonn- und Feiertage). Wird der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit krank, wird dieser Tag bei der Bemessung des 6-Wochen-Zeitraums nicht berücksichtigt. Für diesen Tag erhält der Arbeitnehmer eine Vergütungsfortzahlung nach § 616 BGB.
Während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses entfällt der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers, da in diesem Fall die beiderseitigen Hauptleistungspflichten entfallen.
Mit Ablauf der sechs Wochen endet der Anspruch des Arbeitnehmers. Darüber hinaus endet die Pflicht zur Entgeltfortzahlung grundsätzlich auch vor Ablauf der sechs Wochen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird.
Die Begrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf sechs Wochen gilt auch dann, wenn während der bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer die Entgeltfortzahlung nur einmal in Anspruch nehmen. Etwas anderes gilt, wenn die erste Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem eine weitere Krankheit zur erneuten Arbeitsunfähigkeit führt. Das ist zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder zumindest arbeitsfähig war.
4. Was gilt bei einer Fortsetzungserkrankung?
In dem Fall, in dem der Arbeitnehmer nach Ende einer Arbeitsunfähigkeit erneut krank wird, ist für das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruch maßgebend, ob die Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit beruht oder eine andere Krankheit die Arbeitsverhinderung auslöst. Liegt der Ursprung der Arbeitsunfähigkeit in unterschiedlichen Ursachen, hat der Arbeitnehmer für jede Arbeitsunfähigkeit einen Entgeltfortzahlungsanspruch.
Stellt die neue Erkrankung hingegen eine Fortsetzung der früheren Krankheit dar, weil die wiederholte Arbeitsunfähigkeit auf demselben Grundleiden beruht, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor. In einem solchen Fall behält der Arbeitnehmer den Entgeltfortzahlungsanspruch für erneute sechs Wochen nach § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG nur, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.
Maßgebend für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung ist allein das Grundleiden, nicht die Krankheitserscheinungen selbst. Die fortsetzende Krankheit kann verschiede Krankheitssymptome aufweisen. Eine neue Erkrankung liegt hingegen vor, wenn der Ursprung der Krankheit verschieden ist.
5. Was ist bei einer Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit zu beachten?
Grundsätzlich gilt, dass die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 EFZG mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet. Hiervon macht § 8 EFZG eine Ausnahme. Demnach wird der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgeltes nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Selbiges gilt, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem vom Arbeitgeber zu vertretenden Grunde kündigt, der den Arbeitnehmer zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt. Diese Regelung soll sicherstellen, dass der Arbeitnehmer seinen Entgeltfortzahlungsanspruch bei der Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit nicht verliert. Die Fortzahlungspflicht endet jedoch ebenfalls mit Ablauf von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 EFZG).
6. In welcher Höhe wird das Arbeitsentgelt fortgezahlt?
Nach § 4 Abs. 1 EFZG steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich die volle Vergütung zu. Der Arbeitnehmer erhält nach dem sog. modifizierten Entgeltausfallprinzip diejenige Vergütung, die er erhalten hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig krank geworden wäre. Nicht als Arbeitsentgelt einzuordnen ist das zusätzlich für Überstunden gezahlte Entgelt.
In dem Fall, dass die Arbeitsvertragsparteien einen festen Monatslohn vereinbart haben, ist dieser folglich auch im Krankheitsfall grundsätzlich fortzuzahlen. Der Arbeitgeber hat jedoch die Möglichkeit einzuwenden, mit dem Festlohn seien vereinbarungsgemäß Überstunden oder bestimmte tarifliche Überstundenzuschläge abgegolten.
Haben die Vertragsparteien eine Stundenvergütung vereinbart, errechnet sich das während der Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlende Entgelt, indem die wegen der Arbeitsunfähigkeit ausgefallenen regelmäßigen Arbeitsstunden mit dem Stundensatz multipliziert werden. Schwanken die Arbeitszeiten, ist der Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate maßgebend.