Schwerbehinderte Menschen im Arbeitsverhältnis – Kündigungsschutz

1.    Wie ist der besondere Kündigungsschutz von schwerbehinderten Arbeitnehmern geregelt?

Der besondere Kündigungsschutz ist in § 168 SGB IX geregelt und erstreckt sich auf Arbeitsverhältnisse schwerbehinderter Menschen und der ihnen Gleichgestellten. Er gilt ausnahmsweise nicht, sofern der Schwerbehindertenschutz gemäß § 200 SGB IX entzogen worden ist. Von dem Kündigungsschutz erfasst sind Arbeitnehmer, Auszubildende, arbeitnehmerähnliche Personen, sofern sie aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigt werden, und Heimarbeiter. Organvertreter sind ebenfalls erfasst, wenn sie aufgrund eines Arbeitsvertrages beschäftigt werden.

Nach § 169 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Hiervon erfasst sind alle Kündigungsarten. Selbiges gilt für schwerbehinderten gleichgestellten Menschen.

 

2.    Welche Voraussetzungen hat der besondere Kündigungsschutz?

Der besondere Kündigungsschutz hat grundsätzlich vier Voraussetzungen. Zunächst müssen die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen. Außerdem ist ein Nachweis der Schwerbehinderung bzw. der Gleichstellung oder die rechtzeitige Antragsstellung erforderlich. Die Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Gleichstellung oder die rechtzeitige Mitteilung nach dem Kündigungsausspruch ist auch Voraussetzung. Abschließend muss rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben werden.

Liegt die Zustimmung des Integrationsamtes nicht vor, ist die Kündigung nach § 138 BGB nichtig.

 

2.1      Schwerbehinderteneigenschaft

Der besondere Kündigungsschutz besteht nur, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung feststehen. Zu beachten ist die Ausnahme gemäß § 173 Abs. 3 SGB IX, wonach der besondere Schutz nicht besteht, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 152 Abs. 1 S. 3 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Ein Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft liegt vor, wenn sie für den Arbeitgeber offensichtlich ist oder das Versorgungsamt durch Bescheid den erforderlichen Grad der Behinderung festgestellt hat. Der Nachweis selbst muss nicht gegenüber dem Arbeitgeber geführt werden. Kein Nachweis liegt hingegen vor, wenn das Verfahren vor dem Versorgungsamt zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch nicht abgeschlossen ist.  Ist der Antrag beim Versorgungsamt zum Kündigungszeitpunkt noch nicht entschieden, kann sich der Arbeitnehmer trotzdem auf den Kündigungsschutz des § 168 SGB IX berufen, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist. Die Frist beträgt in dem Fall drei Wochen. Demnach muss der Antrag mindestens drei Wochen vor dem Kündigungszeitpunkt gestellt worden sein. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch, wenn für die Feststellung des Antrags ein medizinisches Gutachten erforderlich ist. Die rechtzeitige Antragsstellung ist ausnahmsweise nicht ausreichend, wenn der Arbeitnehmer seine aus § 60 SGB I ergebende Mitwirkungspflicht nicht erfüllt hat.

 

2.2      Kenntnis des Arbeitgebers

Eine Berufung auf den Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers ist nur zulässig, sofern der Arbeitgeber Kenntnis von dem Umfang des maßgeblichen Grad der Behinderung hatte oder der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft bzw. die rechtzeitige Antragstellung beim Versorgungsamt nach dem Kündigungszugang innerhalb einer angemessenen Frist mitgeteilt hat. Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber die Kenntnis nicht durch den Arbeitnehmer selbst erlangen muss. Die Information aus der Stellungnahme des Betriebsrats kann beispielweise ausreichend sein. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht mehr informieren.

Ist die die Schwerbehinderung begründende Behinderung offensichtlich, ist eine nachträgliche Mitteilung oder Antragstellung nicht erforderlich. Offensichtlichkeit liegt vor, wenn der Arbeitgeber aus den ihm bekannten Tatsachen vom Vorliegen eines Behinderungsgrades von zumindest 50 sicher ausgehen muss.

 

3.    Was ist bei einer ordentlichen Kündigung zu beachten?

Sowohl die ordentliche Kündigung als auch die Änderungskündigung durch den Arbeitgeber bedarf gemäß § 168 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Spricht der Arbeitgeber die Kündigung ohne die vorherige Zustimmung aus, ist sie nach § 134 BGB iVm § 168 SGB IX nichtig. Gemäß § 169 SGB IX beträgt die Kündigungsfrist mindestens vier Wochen. Für die Zustimmungseinholung gilt § 170 SGB IX. Nach § 170 Abs. 1 SGB IX beantragt der Arbeitgeber die Zustimmung bei dem für den Sitz des Betriebes oder der Dienststelle zuständigen Integrationsamt. Der Antrag hat schriftlich oder elektronisch zu erfolgen und ist unter Darlegung der Kündigungsgründe zu begründen. Nach § 170 Abs. 2 SGB IX holt das Integrationsamt eine Stellungnahme des Betriebsrates oder des Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein. Darüber hinaus wird der schwerbehinderte Mensch selbst auch angehört.

Die Entscheidung des Integrationsamts über den Antrag des Arbeitgebers ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Sachverhaltsaufklärung hat nach § 20 SGB X von Amts wegen zu erfolgen. Hieraus folgt, dass das Integrationsamt die erforderlichen Tatsachen zu ermitteln hat, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers abwägen zu können.

Die Aufgabe des Integrationsamtes ist es, aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen die wechselseitigen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die sich gerade aus der Behinderung und der damit verbundenen Benachteiligung ergeben. Eine Beschäftigungspflicht aufseiten des Arbeitgebers, für den Fall, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für den schwerbehinderten Arbeitgeber entfallen ist und keine anderweitige Möglichkeit vorhanden ist, besteht nicht. Im Rahmen der Interessenabwägung durch das Integrationsamt ist zu berücksichtigen, dass das SGB IX darauf abzielt, die Nachteile des Arbeitnehmers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen und seiner Rehabilitation zu dienen.

Der Ermessensspielraum aufseiten des Integrationsamtes wird durch § 172 SGB IX eingeschränkt. Nach Abs. 1 S. 1 der Regelung muss das Integrationsamt die Zustimmung bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend eingestellt oder aufgelöst werden, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Gehalt oder Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen. Nach S. 2 soll es die Zustimmung ebenfalls bei Kündigungen in Betrieben und Dienststellen erteilen, die nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden, wenn die Gesamtzahl der weiterhin beschäftigten schwerbehinderten Menschen zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 154 SGB IX ausreicht. Nach § 172 Abs. 2 SGB IX soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn dem schwerbehinderten Menschen ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz gesichert ist. Außerdem soll das Integrationsamt die Zustimmung nach § 172 Abs. 3 SGB IX erteilen, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet ist und die weiteren in Abs. 3 genannten Voraussetzungen vorliegen.

Zu beachten ist, dass lediglich im Rahmen des § 172 Abs. 1 S. 1 SGB IX eine Verpflichtung zur Erteilung der Zustimmung besteht.

 

4.    Was ist bei einer außerordentlichen Kündigung zu beachten?

Nach § 174 Abs. 1 SGB IX gelten mit Ausnahme von § 169 SGB IX für die außerordentliche Kündigung die Ausführungen zur ordentlichen Kündigung entsprechend. Aus § 174 SGB IX ergeben darüber hinaus Besonderheiten, die nur für die außerordentliche Kündigung gelten.

Nach § 174 Abs. 2 SGB IX kann die Zustimmung zur Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

Nach § 174 Abs. 3 SGB IX muss das Integrationsamt die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs des Antrages treffen. Wird innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt.

Außerdem ist der Ermessensspielraum des Integrationsamtes im Rahmen der außerordentlichen Kündigung stärker eingeschränkt. Nach § 174 Abs. 4 SGB IX soll die Zustimmung erteilt werden, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Der Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigung ist nur gegeben, sofern sich das zur Begründung herangezogene Verhalten zwanglos aus der Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigung ergibt.