Vertragsanbahnung (vorvertragliches Schuldverhältnis)
1. Wie entsteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis?
Ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB bereits durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Eine tatsächliche Vertragsunterzeichnung ist somit nicht erforderlich. Es genügt bereits eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Auch bei der bloßen Anbahnung eines Vertrages wird gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet. Eine Anbahnung liegt vor, wenn die Parteien rechtsgeschäftliche Kontakte eröffnet haben, es aber noch zu keinen Vertragsverhandlungen gekommen ist. Ausreichend für das Entstehen eines Schuldverhältnisses ist somit beispielsweise bereits eine Bewerbung auf eine Stellenausschreibung. Wichtig ist, dass sowohl den Arbeitgeber als auch den Bewerber während der Vertragsanbahnung nach § 241 Abs. 2 BGB wechselseitige Pflichten treffen, deren Verletzung Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB begründen kann. Hierzu gehören Aufklärungs-, Mitwirkungs-, Obhuts- und Rücksichtnahmepflichten.
2. Welche Pflichten treffen den Arbeitgeber?
Der Arbeitgeber und dessen Vertreter haben sich während der Vertragsverhandlung wahrheitsgetreu zu verhalten und dürfen den Arbeitssuchenden nicht täuschen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass dem Bewerbenden nicht mitgeteilt werden darf, er könne sein noch bestehendes Arbeitsverhältnis risikolos kündigen, weil es zum Abschluss des Arbeitsvertrages kommen werde, obwohl dies nicht zutreffend ist. Sollte es in einem dem vorgelagert entsprechenden Fall nicht zum Abschluss des Arbeitsvertrages kommen, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Vertrauensschaden ersetzen. Bedient sich der Arbeitgeber eines Vertreters, der an seiner Stelle die Verhandlungen führt, muss er sich ein Verschulden dieses Mitarbeiters nach § 278 BGB zurechnen lassen. Auch eine diskriminierende Stellenausschreibung durch einen Bediensteten muss sich der Arbeitgeber zurechnen lassen, nicht hingegen eine unrichtige Entscheidung des Betriebsrates.
Des Weiteren treffen den Arbeitgeber besondere Aufklärungspflichten. Er darf gemäß § 241 Abs. 2 BGB Umstände, die die vollständige Durchführung des Arbeitsverhältnisses in Frage stellen können, nicht verschweigen, sofern sie ihm bekannt sind oder zumindest bekannt sein müssen. Eine Aufklärungspflicht besteht unter anderem dann, wenn das Arbeitsverhältnis alsbald beendet wird oder seinen wirtschaftlichen Sinn verliert. Ebenfalls besteht eine Pflicht zu Aufklärung, wenn der Arbeitgeber aufgrund von massiven Zahlungsschwierigkeiten bereits bei Vertragsschluss Anlass für Zweifel daran hat, in der Lage zu sein, die fälligen Gehälter auszuzahlen, sofern er nicht davon ausgehen kann, dass der Bewerber von den Zahlungsschwierigkeiten Kenntnis hat. Das bloße Bestehen einer schlechten wirtschaftlichen Lage, in der noch kein Arbeitsplatzabbau geplant ist, begründet hingegen keine Aufklärungspflicht über einen hypothetischen Abbau von Stellen. Auch nach Abschluss des Vertrages kann sich ein vorvertragliches Verschulden noch auswirken.
Eine Pflicht zur Aufklärung bezüglich der an den Bewerber gestellten Anforderungen besteht nicht, soweit diese den Üblichen Rahmen nicht überschreiten.
Ein Schadensersatzanspruch wegen einer Aufklärungspflichtverletzung betrifft grundsätzlich nur den Vertrauensschaden, d.h. den Schaden, der erlitten wird, weil auf die Gültigkeit einer Erklärung vertraut wurde. Sollte bei den Vertragsverhandlungen kein besonders Vertrauen auf den Abschluss eines Vertrages erweckt worden sein, entstehen beim Abbruch der Verhandlungen auch keine Ansprüche. Der Ersatz einer Aufwendung, die in Erwartung des Vertragsschlusses gemacht wurde, kann nur verlangt werden, wenn der Abschluss des Vertrages zwischen den Parteien als sicher anzunehmen war und die Aufwendungen in dem hierdurch entstandenen Vertrauen auf den Vertragsschluss getätigt wurden. Rechtsgrundlage für einen solchen Ersatzanspruch ist § 280 Abs. 1 iVm § 311 Abs. 2 BGB.
3. Welche Pflichten treffen den Arbeitnehmer?
Den Arbeitnehmer treffen Offenbarungspflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis. Diese können die Qualifikation und Eignung des Arbeitnehmers betreffen. Eine Mitteilungspflicht besteht jedoch nur hinsichtlich solcher Tatsachen, deren Mitteilung der Arbeitgeber nach Treu und Glauben erwarten darf. Hierzu gehören Umstände, die dem Arbeitnehmer die Erfüllung des Arbeitsvertrages unmöglich machen oder seine Eignung für die Stelle erheblich beeinträchtigen, wie beispielsweise der bevorstehende Vollzug einer Freiheitsstrafe.
Die Offenlegung des Gesundheitszustandes des Bewerbers ist dann verpflichtend, wenn er damit rechnen muss, aufgrund einer bestehenden Krankheit seiner Arbeitspflicht bereits bei Beginn des Arbeitsverhältnisses nicht nachkommen zu können. Maßgeblich ist hierbei der Einfluss der Krankheit auf das Arbeitsverhältnis. Eine Aufklärung über eine Behinderung hat nur zu erfolgen, wenn sie die Ausübung der Arbeit objektiv ausschließt.
Bei der Bewerbung auf eine Stelle als Kraftfahrer besteht eine Offenbarungspflicht bezüglich einer Alkoholabhängigkeit.
Eine Pflicht zur Offenbarung von Umständen, nach denen der Arbeitgeber nicht fragen darf, besteht nicht. Aus diesem Grund besteht weder bezüglich einer bestehenden noch hinsichtlich einer geplanten Schwangerschaft eine Pflicht zur Offenlegung.
Verletzt der Arbeitnehmer eine bestehende Offenbarungspflicht, kann der Arbeitgeber Ersatz des Vertrauensschadens gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB verlangen oder den Arbeitsvertrag gemäß § 123 BGB anfechten.
4. Kann der Arbeitgeber die Vorlage eines Führungszeugnisses verlangen?
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber nur einen Anspruch auf Vorlage eines Führungszeugnisses, wenn dieser gesetzlich vorgesehen ist. So zum Beispiel nach § 72a SGB VIII, der einen solchen Anspruch für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Einstellung von Personal begründet. Das Verlagen nach einem Führungszeugnis ohne Rechtsgrundlage ist grundsätzlich rechtswidrig, da dieses auch nicht-arbeitsplatzbezogene Vorstrafen enthält. Verlangt der Arbeitgeber trotzdem ein Führungszeugnis, kann ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts entstehen.